Tanya Stewner: Liliane Susewind – Rückt dem Wolf nicht auf den Pelz! 

Papa, kannst du bitte vorlesen?, fragt meine Tochter.

Klar, mach ich!, antworte ich. Und was? Liliane Susewind – Rückt dem Wolf nicht auf den Pelz, geschrieben von Tanya Stewner mit Bildern von Eva Schöffmann-Davidov, Band 7 der Liliane Susewind-Reihe

 

Liliane Susewind hat es nicht leicht in ihrem neuen Abenteuer: Nachdem ihre Mutter öffentlich erklärt hat, dass das Mädchen mit Tieren sprechen kann und überdies noch Blumen wachsen und erblühen lässt, wenn sie fröhlich lacht, wird das Haus der Susewinds von Journalisten belagert, die unbedingt von diesem außergewöhnlichen Kind berichten wollen. Lilli kommt kaum noch aus dem Haus, weil die Fotografen so aufdringlich sind, dass sie ihr überallhin folgen.

Doch dann, als überraschenderweise alle Reporter verschwunden sind, wagt sie sich mit ihrem Freund Jesahja, ihrem Hund Bonsai und der Katze Jesahjas, Frau von Schmidt, hinaus in den Park. Aber dort werden die Kinder und die beiden Tiere entführt. Ein Schurke mit Namen Midas hat es auf Liliane abgesehen und will mit ihren Fähigkeiten mitten im Wald exotische Früchte wachsen lassen, um mit dem Verkauf von Bananen, Kokosnüssen und Ananas reich zu werden. Lillis geheimnisvollen Kräfte sollen den deutschen Herbstwald in ein tropisches Paradies verwandeln.

 

Das Experiment misslingt, denn Liliane ist zu niedergeschlagen, als dass sie die Samen der Pflanzen, die Midas Gehilfen in die Erde gebracht haben, zum Wachsen bringen könnte. Sie fürchtet sich vor diesem Herrn Midas, aber mithilfe unzähliger Waldtiere und vor allem durch die Unterstützung eines großen einsamen Wolfes – Askan – gelingt den Kindern die Flucht.

 

Als ob es damit an Aufregung nicht schon genug wäre, muss Liliane zuhause erfahren, dass Askan als Bedrohung für Menschen und Tiere verstanden wird und von Jägern getötet werden soll. Unbemerkt von den Eltern macht sie sich mit Jesahja auf, um den Wolf zu retten, was schließlich auch gelingt. Und – glückliches Ende! – Liliane, Jesahja, ihre Eltern, die Zoodirektorin „Oberst“ Essig bringen Askan in die Lausitz, wo er ein neues Rudel findet, dem er sich anschließt.

 

Was macht die Bücher Tanya Stewners für Kinder so interessant? Die Geschichten sind spannend erzählt und werden mit Liliane von einer Hauptfigur getragen, deren zauber- und fabelhafte Fähigkeiten einmalig zu nennen sind. Sie ist in der Lage, mit jedem Tier in der ihm eigenen Sprache zu reden – ausgenommen sind hier Schlangen, wie in einem anderen Buch zu erfahren war, aber auch nur deshalb, weil sie nichts hören. So wie Liliane die Tiere liebt, so lieben diese das rothaarige Mädchen. Sie suchen ihre Nähe, sind zunächst erstaunt, dass ein Menschenkind in der Sprache der Vögel, der Katzen, der Hunde, der Löwen, der Igel spricht. Welcher Junge, welches Mädchen wünscht sich nicht solche Fähigkeiten? Alle Handlungen Lillianes sind von Wohlwollen und Zuneigung getragen. Sie besitzt ein reines Herz und eine von bösen Anwandlungen freie Seele, und wenn sie lacht, werden Pflanzen angeregt, zu wachsen, aus kleinen Samen werden in Windeseile die schönsten Blumen. Liliane ist also eine Identifikationsfigur, in der sich Kinder wiederfinden können, eine Wunsch-Figur, weil sie Sehnsüchte weckt, eine Projektionsfläche für das Wunderbare: Wäre das nicht toll, mit meinem Hund reden zu können, so wie ich mit Mama und Papa rede? Wäre es nicht schön, wenn durch mein Lachen aus zarten Knospen farbenprächtige Blüten würden?

 

Die Tiere sind in den Geschichten "auch nur Menschen", das heißt, sie werden von der Autorin vermenschlicht, aber das finde ich in Ordnung. Schließlich lesen wir eine auf das Individuelle - in der Gestalt Lillis – reduzierte zeitgemäße Darstellung eines paradiesischen Zustandes, in dem sich der Mensch nicht von Tieren und Pflanzen getrennt weiß, sondern mit ihnen und für sie lebt und nicht gegen sie. So erscheint Bonsai, Lillis Hund, als ein quicklebendiger, manchmal etwas großmäuliger Vierbeiner, der kaum je von Lilianes Seite weicht und in der Beurteilung von Menschen und Tieren eine – eben - sehr menschliche Haltung einnimmt. Frau von Schmidt, die ganz anders gestrickt ist als der kecke Bonsai, verhält sich ähnlich. Die Katze der Sturmwagners, Jesahjas Eltern, ist leicht versnobt, liebt die vornehme Attitüde und betrachtet die Welt aus der Perspektive eine Katze „von Adel“. Dennoch verstehen sich Bonsai und Frau von Schmidt sehr gut, auch wenn der der eine „Hundisch“ und die andere „Katzisch“ spricht. Aber da Lilli beide Sprachen perfekt beherrscht, steht auch der Kommunikation zwischen Hund und Katze nichts im Wege.

 

Komplettiert wird der Kreis der Handelnden durch Lilianes Mutter, einer Talkshow-Moderation, deren beruflichen Ziele manchmal mehr Platz in ihrem Leben einzunehmen scheinen als ihre Tochter. Lange Zeit wollte sie nicht, dass Lillis Begabung öffentlich gemacht wurde, weil sie um ihre Karriere fürchtete. Lillis Vater steht etwas im Schatten der Mutter, während die resolute Oma, die sich lieber an der Werkbank aufhält als am Küchenherd, in ihrer sympathischen Robustheit auch den Kampf mit den Paparazzi aufnimmt. Jesahja, der hochbegabte, gut aussehende Nachbarsjunge, der mit Lilli die gleiche Schule besucht, findet mit seinem Wissen und seinen klugen Einfällen immer wieder Wege aus kniffeligen Situationen, in denen Lilli keinen Rat mehr weiß.

 

Am Ende der Geschichte ist alles gut: Die „Bösen“ werden bestraft, der Entführer Midas wird von der Polizei gefasst, die „Guten“ dürfen sich aufmachen, den Wolf zu einem neuen Rudel zu bringen und ihn so aus seiner Einsamkeit zu befreien. Die reine Seele, die Freundschaft zwischen den Kindern und die Verbundenheit von Mensch und Tieren haben dem eigensüchtigen Schurken das Handwerk gelegt.

 

„Du hast ein gutes Herz, Lilli, und deshalb sind diese enormen Fähigkeiten bei dir auch genau am richtigen Platz. Aber du trägst auch eine große Verantwortung“, sagt Lillis Oma zu Beginn der Geschichte.

 

Ein gutes Herz, enorme Fähigkeiten und eine große Verantwortung – mit diesen Gaben und der Aufgabe, sie zum Wohle der Tiere und zu dem der Menschen einzusetzen, weil das eine mit dem anderen verknüpft ist, wird Liliane Susewind durch weitere Abenteuer gehen.

 

Papa, kannst du bitte vorlesen?, wird meine Tochter fragen.

 Klar, mach ich!, werde ich antworten. Und was? Liliane Susewind! Ich freu mich drauf!


Copyright Hubertus Tigges 2015

 

Tanya Stewner - Liliane Susewind – Rückt dem Wolf nicht auf den Pelz! Mit Bildern von Eva Schöffmann-Davidov

S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2011

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