Tanya Stewner: Liliane Susewind – Schimpansen macht man nicht zum Affen

Tanya Stewners Roman „Liliane Susewind – Schimpansen macht man nicht zum Affen“ - Band 4 der Liliane Susewind-Reihe - ist wieder ein spannendes (Vor-)Leseabenteuer. In dieser Geschichte sind es jedoch eher die Menschen als die Tiere, deren Probleme in den Mittelpunkt rücken. Natürlich ist auch in diesem Buch das eine mit dem anderen verknüpft, aber die Autorin schaut aufmerksam auf die Charaktere ihres Romans, die Schlimmes zu erdulden haben, wobei sich die Frage stellt: Wer spricht aus reinem Herzen ihre Sprache? Wer ist in der Lage, mit Trina und Trixi Korks so vertrauensvoll und liebevoll zu reden, wie Lilli es mit den Tieren gelingt? Wer findet die richtigen Worte, um Jesahja aus seiner düsteren Verzweiflung herauszuholen?

Im Park werden Lilli und Jesahja Sturmwagner, der Nachbarsjunge und Schulkamerad Lillis, auf einen Affen aufmerksam, der sich zunächst ganz anders verhält als die Tiere, die von Lillis besonderem Talent gebannt werden. Er ist misstrauisch, befindet sich in einem schlechten körperlichen Zustand und entzieht sich zunächst den Annäherungsversuchen des Mädchens, das mit jedem Tier in der ihm eigenen Sprache reden kann.

 

In den folgenden Tagen gelingt es Lilli jedoch, das Vertrauen des Affen zu gewinnen. Das Tier bekommt den Namen Armstrong. Allen ist es ein Rätsel, woher der Schimpanse kommt. Er lacht und gestikuliert wie ein Mensch, spricht schlecht und hat Angst vor Menschen.

 

In einer der folgenden Nächte sitzt der Schimpanse vor Lilli Kinderzimmerfenster. Bonsai, Lillis Hund, weckt sie und macht sie auf den „Haarmann“, wie er den Affen nennt, aufmerksam. Lilli gibt ihm einen Apfel und eine Banane, doch das bringt den Affen nicht dazu, zu bleiben.

 

Armstrong wird im Zoo untergebracht, nachdem es Lilli schließlich gelungen ist, ihn zum Bleiben zu bewegen. Er kommt zunächst in ein Einzelgehege, weil die anderen Schimpansen mit diesem merkwürdigen Artgenossen nichts anzufangen wissen. Doch dann setzt ihn Trixi Korks, die Schwester Trinas, die bis zu ihrem Rauswurf im Zoo als Tierpflegerin gearbeitet hat, den Affen in das Wolfsgehege. Der Jagdinstinkt der Tiere ist geweckt. Lilli gelingt es in letzter Minute, Armstrong zu retten. Trixi wird als Schuldige erkannt und von der Zoodirektorin aus dem Zoo geworfen. Frau Essig-Steinmeier hat in der Zwischenzeit Nachforschungen über Trina und Trixi Korks angestellt und herausgefunden, dass sie in einem schwierigen sozialen Umfeld aufwachsen.

 

Armstrong ist aus dem Zoo verschwunden. Lilli, die heimlich die Villa des Millionärs Obscura beobachtet, bekommt mit, wie ein Mann eine Kiste in das Haus bringt, in der offenbar eine Harpyie, ein Greifvogel, untergebracht ist. Ihr Freund

Jesahja indes wird immer einsilbiger und deprimierter, ohne dass Lilli einen Grund dafür findet.

Bevor Armstrong und noch andere Tiere, die unter schlimmen Bedingungen im Haus des Millionärs Obscura gehalten werden, befreit werden können, erleben Lilli und Jesahja im Zoo die Geburt von drei Raubkatzenbabys, die aus einer Verbindung des Löwen Shankar und der Tigerin Samira hervorgehen.

 

Als Jesahja schließlich mit seinem Geheimnis herausrückt, dass sein Onkel Kornelius, der sich um ihn während der Zeit der Abwesenheit seiner Eltern kümmert, für den Millionäre seltene, von Schmugglern ins Land gebrachte Tiere in die Villa bringt, wird Lilli klar, dass Armstrong sich wieder in der Millionärsvilla befinden muss. Mit der Hilfe eines Schimpansen und eines Otters dringen sie in das Haus ein, finden die Tiere, die unter den schlimmsten Bedingungen gehalten werden, und verständigen die Polizei. Jesahjas Onkel Kornelius ist geständig, die Tiere werden im Zoo untergebracht und Armstrong wird von der Schimpansengruppe aufgenommen.

 

Ende gut, alles gut? Nein, davon kann nicht die Rede sein. Vor allem das Schicksal von Trina und Trixi Korks zeigt ein soziales Elend, mit dem Lilli und Jesahja unerwartet konfrontiert werden. Trina Korks arbeitete als Auszubildende im Zoo, wurde aber von der Direktorin Frau Essig-Steinmeier rausgeworfen. Sie und ihre Schwester Trixi hatten Lilli und Jesahja in eine lebensgefährliche Situation gebracht. Nun trifft Lilli Trina in einem Eiscafé, in dem sie nach ihrem Rausschmiss zu arbeiten begonnen hat. Aber auch hier geschieht dem Mädchen ein Missgeschick, das zu seiner baldigen Entlassung führt. Als Trixi, die zur Strafe für ihr schändliches Handeln, die Gehege säubern muss, Armstrong zu den Wölfen sperrt, platzt der Direktorin der Kragen und erteilt dem Mädchen Zoo-Verbot.

 

Die Zoo-Direktorin indes weiß um die schlimmen Zustände bei der Familie Korks. Die Mutter ist mit der Erziehung der beiden Mädchen vollkommen überfordert und hat sie schön des Öfteren geschlagen. Das wiederum hat dazu geführt, dass das Jugendamt ein Auge auf die Familie geworfen hat. Als Frau Essig-Steinmeier und Lilli mitbekommen, wie die Mutter von Trina und Trixi eines der Kinder schlägt, verständigt die Zoodirektorin das Jugendamt. Aber diese Intervention findet die Zustimmung der Mutter, weil sie mit den „beiden Satansbraten“ allein nicht mehr fertigwird. Ein Gespräch mit der Vertreterin des Amtes führt dazu, dass Trina und Trixi noch am gleichen Tag zu ihrer Oma ziehen. Der Vater hat sich nach der Scheidung nicht mehr um die Töchter gekümmert, und die Mutter kommt mit dem Verhalten der beiden Mädchen nicht mehr zurecht.

 

Jesahja Sturmwagner ist in dieser Geschichte auch nicht der strahlende junge Held, der Lilli mit klugen Ratschlägen zur Seite steht. Er ist zurückhaltend, traurig, antriebsarm. Der Junge hat herausgefunden, dass es sein Onkel Kornelius ist, der den Millionär Obscura mit seltenen Tieren aus aller Welt versorgt. Jesahja hat die Polizei deshalb noch nicht verständigt, weil Kornelius sein Onkel ist. Aber am größten ist seine Angst, dass er ins Heim muss, wenn Kornelius verhaftet wird, weil seine Eltern im Ausland sind: „Wenn ich Kornelius verrate, bin ich … allein.“ Diese Angst setzt ihm so sehr zu, dass Lilli ihn in seinem Verhalten kaum wiedererkennt.

 

In Lillis Familie schließlich ist auch nicht alles so, wie es sich das Mädchen vermutlich wünscht. Ihr Hund Bonsai bezeichnet Lillis Mutter als „Besuchsfrauchen“. Die ambitionierte Talk-Show-Moderation arbeitet sehr viel und verbringt daher nur am Wochenende etwas mehr Zeit mit ihrem Mann und ihrer Tochter. Außerdem ist sie beständig auf der Hut, dass niemand etwas über die besonderen Gaben ihrer Tochter erfährt, weil sie dadurch ihre eigene Karriere gefährdet sieht.

 

Tanya Stewner beschreibt in ihrem Buch das Versagen von Eltern gegenüber ihren Kindern, erzählt von körperlicher Gewalt, von Einsamkeit, Verlassenwerden und Nicht-Angenommensein. Auch die anderen Erwachsenen erscheinen in einem wenig vorteilhaften Licht: Jesahjas Onkel Kornelius macht sich zum Handlanger der kriminellen Machenschaften eines Millionärs, der seltene Tiere unter den schlimmsten Bedingungen hält, weil es ihm vollkommen gleichgültig ist, wie es ihnen geht. Die Tiere leiden, doch dieses Leid erreicht diesen Menschen nicht, sind sie ihm doch lediglich Objekte, die er sich kaufen, die er besitzen kann.

 

Liliane Susewind wird in diesem Buch mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert, die sie teilweise ratlos machen und verwirren, aber letztlich nicht dazu führen, die bedrohten Tiere alleinzulassen. Spannend bleibt es bis zum Schluss, und für die gequälten Tiere im Keller des Millionärs gibt es ein glückliches Ende. Auch Jesahja darf sich freuen, denn seine Eltern kündigen an, in zwei Wochen zurückzukehren. Dennoch bleiben die Probleme, die die Kinder mit den Erwachsenen haben. Wie geht es weiter mit den Korks-Schwestern? Welche vielleicht veränderte Einstellung findet Lillis Mutter zu ihrer Tochter? Diese Fragen werden in „Schimpansen macht man nicht zum Affen“ nicht geklärt. Aber Liliane Susewind wird noch mehr Abenteuer erleben …


Copyright Hubertus Tigges 2015

 

Tanya Stewner - Liliane Susewind - Schimpansen macht man nicht zum Affen

Mit Bildern von Eva Schöffmann-Davidov

FISCHER Kinder- und Jugendtaschenbuch, 4. Auflage, Frankfurt am Main, November 2014

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